Henkerin 01 - Die Henkerin by Martin Sabine
Autor:Martin, Sabine [Martin, Sabine]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Historischer Roman
ISBN: 978-3-8387-1094-5
Herausgeber: Lübbe Digital
veröffentlicht: 2011-11-20T00:00:00+00:00
Die Geräusche der Nacht hatten das Regiment übernommen. In den Ecken raschelte es, eine Katze fauchte, vom Oberen Tor her ertönte der Ruf des Nachtwächters. Ab und an drang gedämpftes Gemurmel aus einem der Häuser. Ansonsten herrschte Stille. Es war Juni, die Nächte waren kurz, und Melisande musste sich sputen.
Auch im Wohnturm des Braumeisters war alles finster. Glücklicherweise wusste Melisande, hinter welcher Fensterluke Henrich schlief. Sie hatte ein paar winzige Kiesel mitgebracht, die sie nun einen nach dem anderen gegen den Laden warf. Hoffentlich hatte Meister Henrich einen leichten Schlaf und erwachte, bevor einer der Nachbarn oder seine misstrauische Gattin das Scheppern hörte!
Melisande hielt nur noch einen der kleinen weiÃen Kiesel in der Hand, als sie von oben endlich ein Scharren hörte. Kurz darauf erschien das Gesicht des Brauers am Fenster. »Gütiger Himmel, Melchior!«, wisperte der Mann.
Wenige Augenblicke später öffnete er leise die Haustür. Schweigend ging er voran in die Stube im ersten Stock, wo er zwei Talglichter entzündete und zwei Becher Wein einschenkte. Wortlos reichte er Melisande einen. Sie nippte, dann zeigte sie dem Brauer die Wachstafel mit dem vorbereiteten Text.
Er las schweigend, die Stirn in nachdenkliche Falten gelegt. »Du willst uns also verlassen, Melchior«, sagte er schlieÃlich.
Melisande nickte. Sie hatte lange mit sich gerungen, ob sie den Braumeister in ihren Plan einweihen sollte. Einerseits brachte es ihn und sie selbst unnötig in Gefahr, andererseits wollte sie nicht von ihm scheiden, ohne sich zu verabschieden. Meister Henrich war ihr und Raimund in den letzten Jahren der einzige Freund gewesen.
»Meinst du nicht, die Angelegenheit würde auch so wieder in Ordnung kommen?«, fragte Henrich. »Jedem Tölpel muss doch klar sein, dass du keine Schuld am Tod des Mädchens trägst.«
Melisande schüttelte den Kopf. Sie hatte ihm von Agnes geschrieben, von dem Prozess, den man ihr machen wollte. Doch sie hatte weder den Karcher erwähnt noch Sempachs Versuch, sie zu erpressen. Und von ihren Befürchtungen, dass man im Kerker ihr wahres Geschlecht entdecken würde, hatte sie ihm natürlich auch nichts berichten können.
»Wo willst du denn hin?«, wollte Henrich wissen.
Melisande zuckte mit den Schultern und deutete mit einer Handbewegung an, dass alles besser sei, als in Esslingen auf den ungewissen Ausgang des Prozesses zu warten.
Meister Henrich nickte bedächtig. Dann stand er auf und verlieà den Raum. Melisande sah unruhig hin und her. Hatte sie den Mann falsch eingeschätzt? War er doch gesetzestreuer, als sie angenommen hatte, und rief nach dem Büttel? Gerade wollte sie aufspringen, als Henrich zurück in die Stube trat.
»Keine Sorge«, sagte er, als ihre Blicke sich trafen. Augenscheinlich hatte er ihre Anspannung bemerkt. Er reichte ihr einen kleinen Beutel. »Nimm das. Es wird dir die erste Zeit erleichtern.«
Melisande schüttelte den Kopf und hob abwehrend die Hand. Sie war nicht gekommen, um Geld zu erbitten. Im Gegenteil, Geld war das Einzige, an dem es ihr nicht mangelte. Doch als der Braumeister den Beutel nicht sinken lieà und sie Enttäuschung in seinen Augen las, streckte sie zögernd die Hand aus. Er wollte wirklich helfen, und seine Gabe nicht anzunehmen wäre undankbar gewesen und hätte den Freund zutiefst verletzt.
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